Verfahren der Risikoquantifizierung: Cashflow-Modell und Rating-Verfahren

5.2.4.1 Dynamische Ziele einer Risikoquantifizierung

Ziel einer Risikoquantifizierung ist, die Wahrscheinlichkeit und den quantitativen Umfang moglicher negativer Abweichungen des Projektes im zeitlichen Ablauf zu ermitteln. Die hierzu in der Praxis entwickelten Methoden haben dabei die betriebswirtschaftlichen Tendenzen nachvollzogen und entwickelten sich von den statischen Methoden zu dynamischen Verfahren, die nunmehr die einzelnen Risiken im zeitlichen Ablauf berucksichtigen. Zum Teil sieht man allerdings auch heute noch Kalkulationsbeispiele, die darauf abzielen, eine Betrachtung fur ledig- lich ein Jahr anzustellen oder aber eine GewinngroBe zu ermitteln. Von beiden

Herangehensweisen muss dringend abgeraten werden: Zum einen sollte klar sein, dass eine statische Betrachtung kunftige Veranderungen von Einzahlungen und Auszahlungen nicht abbilden und damit zu einer gravierenden Fehleinschatzung der Wirtschaftlichkeit eines Vorhabens fuhren kann. Zum anderen sind es lediglich die zahlungswirksamen Grofien, die fur die Begleichung der operativen Kosten und des Kapitaldienstes herangezogen werden konnen, nicht aber eine aus der Gewinn — und Verlustrechnung stammende Grofie, die fur Rechnungslegungszwecke entwickelt wurde. Es sollte daher Standard sein, auf dynamische Verfahren zu setzen und nur Nach-Steuer-Cashflows zu betrachten (Abb. 5.13).

Aus Sicht des Investors werden regelmafiig die Ein — und Auszahlungen, die er leisten muss bzw. erhalt, auf den Zeitpunkt der Investitionsentscheidung mit einem geeigneten Kalkulationszinssatz abgezinst. Ergibt sich ein positiver Kapitalwert, erscheint das Vorhaben vorteilhaft. Alternativ — wenn auch mit gewissen theo — retischen Nachteilen — kann der interne Zinssatz den Investor daruber informieren, ob eine bestimmte Mindestverzinsung seines Eigenkapitals erreicht oder uber — schritten wird. In der Praxis wird hierfur meist der interne Zinssatz (Internal Rate of Return) herangezogen. Bei dieser Methode wird der Zinssatz berechnet, bei dem die Barwerte der Einzahlungen und Auszahlungen des Investitionsvorhabens gleich grofi sind. Daraus ergibt sich folgende Formel, wobei die Zielgrofie der interne Zinssatz r ist: n

2 (Et — At) • (1 + r)-t = 0 t = 0

Et: Einzahlungen in Periode t At: Auszahlungen in Periode t t: Periode

n: Nutzungsdauer des Investitionsobjektes r: interner Zinssatz

Auf diese Weise erhalt man die Effektivverzinsung eines Investitionsvorhabens. Die Investition wird unter der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarktes dann durchgefuhrt, wenn der interne Zins uber dem Kapitalmarktzins liegt. Fur die Berechnung wird aufierdem die Annahme getroffen, dass etwaige Zahlungsdefizite oder Zahlungsuberschusse zum jeweiligen internen Zinssatz verzinst werden. Allerdings sind die so abgeleiteten Kennzahlen nicht geeignet, die Dimensionierung und Struktur der Fremdmittel zu bestimmen. Hier kommt die Sichtweise der Fremd — kapitalgeber ins Spiel. Aus Sicht der Fremdkapitalgeber interessiert primar die Frage, wie sicher es ist, dass Zinsen und Tilgung aus dem Cashflow des Projektes erbracht werden konnen — je hoher hier die Uberdeckung ist, um so robuster sollte das Projekt auf Plananderungen reagieren. Die interne Rendite und die Belastbar- keit eines Projektes stehen im folgenden Verhaltnis zueinander: Solange das Projekt einen positiven Leverage-Effekt aufweist, sollte einem Vorhaben mehr Fremdkapital zugefuhrt werden, damit die interne Rendite maximiert werden kann. Damit stehen beide Ziele im Regelfall in einem Trade-Off zueinander: Die Fremdkapitalgeber bevorzugen Projekte mit einem hohen Eigenmittelanteil, der ihr Risiko reduziert, aber andererseits die interne Rendite des Vorhabens verringert. Im Regelfall stehen

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Abb. 5.13 Gegenuberstellung Interner Zinssatz/Debt Service Cover Ratio

Eigenkapitalgeber und Fremdkapitalgeber in einem Wettbewerb um die freien Cashflows des Projektes. Eine Ausnahme bilden Regelungen ab, die die Situation eines Dritten betreffen, also etwa die Ausgestaltung von Wartungs- oder Betriebs — fuhrungsvertragen.

Im Folgenden betrachten wir das Cashflow-Modell unter dem Blickwinkel der Ausgestaltung einer Finanzierungsstruktur und damit in einem fortgeschrittenen Stadium aus Sicht der Fremdkapitalgeber.

Hauptproblem der im Folgenden darzustellenden Verfahren ist die Prognose der zukunftigen Periodenerfolge, die sich — in den Planungen der Projektbeteiligten — haufig als eine einmalige Analyse der wahrscheinlichen Entwicklung des Pro­jektes darstellt. Dabei weisen diese Verfahren zwei Mangel auf: Zum einen wird die Wechselwirkung des Projekterfolgs mit den Interessen der verschiedenen Projektbeteiligten meist nicht thematisiert. Wir haben diesen Aspekt in Kap. 2 skizziert. Zum anderen werden Handlungsmoglichkeiten der Projektbeteiligten — vor allem der Projektgesellschaft — auf Veranderungen der Umwelt, die auf das Projekt einwirken, nicht abgebildet, so dass die eher statische und gerichtete Sicht der traditionellen Bewertungsverfahren erganzt werden muss. Gleichwohl sind die Kennzahlenermittlung und die Projektsteuerung uber Kennzahlen die zentralen Ele — mente jeder Risikoquantifizierung.

Der primare Finanzierungsgedanke einer Projektfinanzierung beinhaltet, dass der generierte Cashflow ausreichen soll, um einerseits den Schuldendienst zu decken und andererseits eine angemessene Absicherung gegen den Eintritt moglicher Risiken zu bieten. Zur Umsetzung dieser Zielvorgabe werden die erwarteten Pro — jekterlose ermittelt und anschliefiend in Bezug zum ausstehenden Schuldendienst oder Kreditbetrag gesetzt.

Bei diesem Modell werden die Cashflows des Projekts unter Annahme der Plan — daten periodenweise simuliert und es wird dann gepruft, inwiefern das Projekt in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Die ermittelte Uber — oder Unterdeckung kann mit Hilfe des Debt Service Cover Ratio (DSCR, Schuldendienstdeckungsgrad) aggregiert dargestellt werden. Der DSCR beschreibt dabei, inwieweit der Cashflow zur Deckung des Schulden — dienstes ausreicht. Da es ublich ist, zur Erhohung der Belastbarkeit des Projekts eine Schuldendienstsreserve (SDR) vorzuhalten, wird der DSCR im weiteren Ver — lauf der Arbeit wie folgt definiert:

Cashflow der Periode + Schuldendienstreserve

DSCR =

Schuldendienst der Periode

Die so fur die einzelnen Perioden ermittelten DSCR konnen in einem Graphen, der die gesamte Kreditlaufzeit abbildet, dargestellt werden, wodurch die fur das Projekt kritischen Phasen leicht zu identifizieren sind.

Bei einem DSCR > 1,0 ist der Schuldendienst der Periode durch die Cashflows gedeckt. Um eine Absicherung gegen Schwankungen des Cashflows vorzunehmen, besteht von Seiten des finanzierenden Kreditinstituts im Allgemeinen der Anspruch, dass das Projekt in der Lage sein muss, auch in einem Worst-Case-Fall einen DSCR > 1,0 zu generieren. Die Anforderung an die als notwendig angesehene Uberdeckung hangt von dem Umfang der Risikouberwalzung ab, so dass eine bank — seitige Forderung nach einem Mindestdeckungsverhaltnis durch die projektspezi — fische Risikostruktur mit beeinflusst wird. Je ausgepragter die Risikoubernahme unter Berucksichtigung der Risikotragfahigkeit des betreffenden Risikotragers ist, umso geringer kann die Uberdeckung ausfallen.

Der Schuldendeckungsgrad fordert lediglich eine pauschale Uberdeckung fur den Risikofall. Demnach gibt der DSCR noch keine Auskunft uber die Entwick — lung des Cashflows unter Risikoeinfluss. Inwieweit eine im DSCR enthaltene Sicherheitsmarge im Falle einer Risikorealisation ausreichend bemessen ist, wird zunachst noch nicht ersichtlich. Erst unter Anwendung von dynamischen Analyse — methoden wird der DSCR zu einer Bewertungs — und Steuerungsgrofie. Der Ein — satz des Cashflow-Modells und die Betrachtung des DSCR als zentrale Kenngrofie unterstutzt auch die in dieser Arbeit eingenommene Sichtweise, da die aus Sicht der Kredit gebenden Bank elementare Fahigkeit des Projektes zur Leistung von Zins und Tilgung abgebildet wird (s. Abb. 5.14).

Neben der Bewertung der Ausgangssituation mit Plandaten kann mit dem Cashflow-Modell auch der Einfluss einzelner Risiken auf das Projekt bewertet werden. Mit Hilfe der Sensitivitatsanalyse wird dabei durch eine Simulation der verschiedenen Input-Daten gepruft, inwiefern entstehende Veranderungen im Cashflow die Tragfahigkeit des Projektes beeinflussen. Ziel ist es, die Reaktions — empfindlichkeit des Projektes auf veranderte Umweltbedingungen aufzuzeigen. Auf diese Weise wird ersichtlich, welche Bedeutung jeweils der Absicherung eines Risikos zukommt.

Da sich die Einzelrisiken und die spezifischen Risikoinstrumente im zeitlichen Ablauf des Projektes wandeln konnen, treten neben die eher statische Betrachtung des Schuldendienstdeckungsgrades den zeitlichen Ablauf starker betonende dynamische Methoden in den Vordergrund, namlich die Sensitivitatsanalyse, die Szenariotechnik, die simulative Risikoanalyse und neuerdings die Methode der Real — oder Handlungsoptionen.

Ziel der Sensitivitatsanalyse ist die Darstellung der Auswirkungen von Varia — tionen des Wertes einzelner oder mehrerer Parameter auf das Entscheidungskriterium

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Abb. 5.14 Grundlegendes Cashflow-Modell mit Base — und Worst-Case. (Nevitt und Fabozzi 2000, S. 12)

(z. B. Cashflow oder DSCR), um so zusatzliche Informationen uber den Risiko — gehalt des Projektes zu gewinnen. Die Sensitivitatsanalyse kann dabei grund — satzlich in zweierlei Weise vorgenommen werden: Zum einen vom gewahlten Beur — teilungskriterium zum variablen Risikoparameter (Fragestellung: um wie viel darf der Risikoparameter schwanken, ohne den Zielwert beim gewahlten Kriterium zu beintrachtigen? — Methode der kritischen Werte), zum anderen vom Risikopara­meter zum Beurteilungskriterium (Fragestellung: Wie schwankt die Messzahl des Beurteilungskriteriums, wenn der Risikoparameter verandert wird — Alternativen — rechnung). Vorteilhaft ist dabei die Ermittlung, welche Anderungen des Daten — kranzes sich besonders sensibel auf den Cashflow auswirken.

Nachteilig bei der Sensitivitatsanalyse ist der Umstand, dass sich in der Realitat nur selten einzelne Parameter c. p. verandern, sondern Interdependenzen zwischen den Cashflow-Determinanten eher die Regel sind. Weiter ist mit der Sensitivitats­analyse noch nichts fur die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit der verschiedenen Parametereinsatze gewonnen. Das Verfahren macht jedoch deutlich, auf welche Anderungen das Projekt — gemessen am Beurteilungskriterium — am sensibelsten reagiert und weist so darauf hin, welchen Risiken besonderes Augenmerk geschenkt werden muss.

Einen Schritt weiter geht die Szenariotechnik. Die Szenariotechnik stellt eine besondere Form der Sensitivitatsanalyse dar, bei der auf Basis verschiedener als realistisch angenommener Datenkonstellationen — so genannten Szenarien — die Auswirkungen auf den Cashflow aufgezeigt werden, gemessen uber den Schulden — dienstdeckungsgrad (DSCR). Dadurch wird abgebildet, wie sich die Wirtschaftlich — keit des Vorhabens in Abhangigkeit der fur die wichtigsten Einflussparameter hypothetisch unterstellten Entwicklungen verandern kann. Die Untersuchung wird haufig auf drei Szenarien eingegrenzt:

• Base-Case (Unterstellung der wahrscheinlichsten Parameterwerte),

• Best-Case (Unterstellung gunstigster Parameterwerte) und

• Worst-Case (Unterstellung ungunstigster Parameterwerte).

Als Vergleichsgrofie dient das Base-Case-Szenario, das die verschiedenen Pro — jektparameter mit ihrem wahrscheinlichsten Wert berucksichtigt. Ausgehend von dem Base-Case-Szenario lasst sich durch pessimistische Schatzungen ein Worst — Case-Szenario aufstellen. In diesem Szenario wird eine Projektsituation antizipiert, die bei einer ungunstigen Entwicklung der Cashflow-Determinanten eintritt und des — halb fur die Fremdkapitalgeber von besonderer Bedeutung ist. Denn anhand einer Worst-Case-Betrachtung kann festgestellt werden, ob auch bei stark negativen Ent — wicklungen das Projekt in der Lage ist, den Schuldendienst zu erbringen. Ergeben die Auswertungen dieses Szenarios, dass eine Unterdeckung des Schuldendienstes vorliegt, mussen die Banken uber mogliche Modifikationen am entworfenen Finanzierungsplan nachdenken. Aus Sicht der fremd finanzierenden Bank ist ein besserer Verlauf als der Base Case nicht entscheidungsrelevant, da ihr Risikobegriff aufgrund ihrer Chance-Risikoposition als negative Zielabweichung definiert ist und der Schuldendienst unabhangig davon erbracht werden muss, welches Ergebnis das Projekt generiert.

Bedeutung des Base-Case-Szenarios:

1. Als Vergleichsgrofie zu anderen Vorhaben dient das Base-Case-Szenario, das die verschiedenen Projektparameter mit ihrem wahrscheinlichsten Wert beruck­sichtigt.

2. Fur die Eingaben in das Rating-Tool der Banken mussen die Annahmen auf ein Base Case-Niveau gebracht werden. Die Rechnung innerhalb des Rating-Tools simuliert auch negative Projektverlaufe, die das maximal vertretbare Fremd — finanzierungsvolumen aufzeigen.

Bedeutung des Worst-Case-Szenarios:

1. In diesem Szenario wird eine Projektsituation antizipiert, die bei einer unguns­tigen Entwicklung der Cashflow-Determinanten eintritt und fur die Fremd­kapitalgeber von besonderer Bedeutung ist, da gepruft wird, ob auch bei stark negativen Entwicklungen das Projekt in der Lage ist, den Schuldendienst zu erbringen.

2. Liegt im Worst-Case-Szenario eine Unterdeckung des Schuldendienstes vor, mussen die Banken uber mogliche Modifikationen am entworfenen Finanzierungsplan nachdenken.

Bei Biogas-Vorhaben werden die folgenden Parameter im Rahmen einer Simulationsrechnung variiert:

1. Die Volatilitaten, die sich aus dem Biomasseangebot ergeben, werden fort — geschrieben und sind der Haupttreiber fur das Rating-Ergebnis eines Biogas — Projektes.

2. Fur das Zinsumfeld, soweit die Darlehenstranchen nicht zinsgesichert sind, erfolgt ebenfalls eine Simulation von Zinsszenarien, die landerspezifisch hin — terlegt sind.

3. Des Weiteren gibt es weitere makrookonomische Grofien — wie z. B. Inflations — satze — die als eigene Datensatze hinterlegt sind.

Dabei wird das Rating-Ergebnis umso besser ausfallen, je geringer die Volatilitaten sind und je hoher die Uberdeckungsrelationen (DSCRs) ausfallen.

Die Tatsache, dass auf der Grundlage der Sensitivitatsrechnung bzw. Szenario — technik keine Aussage uber die Eintrittswahrscheinlichkeit der unterstellten Cashflow-Konstellationen moglich ist, wird als das grofite Defizit dieser Unter — suchungsmethode angesehen. Um dies zu kompensieren, konnen aufgrund vor — handenen Fachwissens subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten unterstellt werden.

In den folgenden Abschnitten werden wir die verschiedenen, in der Praxis dominierenden Kennzahlen innerhalb einer Projektfinanzierung darstellen und kritisch wurdigen.