Psychologische Konsequenzen

Verschiedene energetische Biomassenutzungskonzepte bieten unterschiedliche Beteiligungsmoglichkeiten fur die Bevolkerung und haben dadurch unterschiedliche potenzielle soziale Auswirkungen auf die Individuen. Verschiedene mogliche Wirk — mechanismen werden hier dargestellt, bevor weiter unten im Einzelnen auf die Bewertungskriterien detaillierter eingegangen wird.

Die Auswirkungen von Partizipation wurden konkret von mehreren Forschern untersucht. So hat sich Ulich (1998) beispielsweise mit den Auswirkungen von Partizipation in teilautonomen Arbeitsgruppen in der Arbeitswelt beschaftigt und festgestellt, dass in solchen Strukturen die intrinsische Motivation durch Aufgaben — orientierung wachst, eine Verbesserung von Qualifikation und Kompetenzen ein — tritt, sich die Flexibilitat fur die Mitarbeiter erhoht, dass sich die Zufriedenheit qualitativ zum Positiven verandert, Stress durch gegenseitige Unterstutzung abge — baut wird und das Freizeitverhalten der Menschen aktiver wurde. Auf der anderen Seite wurden auch mogliche Nachteile beschrieben, die sich durch Partizipation fur die Menschen ergeben konnen und die auch fur ein Engagement bezuglich der Bioenergie geltend gemacht werden konnen (vgl. Muller et al. 2004): Namlich eine zeitliche Uberlastung, Uberforderung, Frustration von Partizipationserwartung (erlernte Hilflosigkeit, Seligman 1975), informelle Machtstrukturen (z. B. aufgrund von Kompetenzgefalle, Engagement), hoher Entscheidungsaufwand durch Kon- sensprinzip und Verantwortungsdiffusion. Auf die genannten Nachteile kann man jedoch Einfluss nehmen durch die Art der Organisation des Beteiligungsprozesses. Bezuglich der Wirkung von Partizipation gibt es unter anderem den kognitiven und den motivationalen Erklarungsansatz (vgl. Wagner et al. 1997). Im kognitiven Erklarungsansatz wird davon ausgegangen, dass durch partizipative Strukturen mehr Informationen ausgetauscht werden und sich dadurch ein grundlicheres Problemverstandnis entwickelt. Durch die Moglichkeit, eigenes Wissen und eigene Erfahrungen einzubringen, erweitert sich insgesamt die Qualifikation der Menschen. Partizipation, so die These, wirke sich starker auf Produktivitat aus als auf Zufriedenheit. Demgegenuber wird im motivationalen Erklarungsansatz davon ausgegangen, dass durch Partizipation Bedurfnisse hoherer Ordnung befriedigt werden und dass kein direkter Zusammenhang zwischen Partizipation und Pro­duktivitat besteht. Stattdessen wird postuliert, dass durch die Reduktion von Wider — stand ein Anwachsen der Motivation zu beobachten sei. Partizipation wirke vor allem bei jenen Menschen positiv, wo Bedurfnisse nicht durch andere Aspekte der Arbeit befriedigt werden. Die Grundthese ist, dass sich Partizipation starker auf Zufriedenheit auswirkt als auf Produktivitat. Fur den motivationalen Ansatz gibt es etwas mehr empirische Belege als fur den kognitiven, obwohl beide Wirkweisen in der Praxis anzutreffen sind (Wagner et al. 1997). Beide Erklarungsansatze bergen jedoch positives Potenzial im Rahmen der Bioenergienutzung: Wenn sich Par­tizipation positiv auf die Produktivitat auswirkt, heifit das, dass die Qualitat des Energiekonzepts steigt. Eine Steigerung der Zufriedenheit hingegen kommt den Individuen, letztlich uber die Motivation auch wieder der Sache zu Gute und unter — stutzt damit eine Nachhaltige Entwicklung.

Ein anderer Ansatz lasst sich indirekt auf die Auswirkungen von Partizipation anwenden. Antonovsky (1993) beschreibt in seinem Konzept der Salutogenese das sogenannte „Koharenzgefuhl“ als ein Gefuhl, die Welt als zusammenhangend, stimmig und sinnvoll anzusehen, das notwendig fur die Gesunderhaltung der Menschen sei. Das Koharenzgefuhl setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Dem Gefuhl von Verstehbarkeit (als kognitives Verarbeitungsmuster: die Fahig — keit von Menschen, Stimuli — auch unbekannte — als konsistente, strukturierte Informationen verarbeiten zu konnen), dem Gefuhl von Handhabbarkeit bzw. Bewaltigbarkeit (als kognitiv-emotionales Verarbeitungsmuster: die Uberzeugung des Menschen, dass Schwierigkeiten losbar sind) und dem Gefuhl von Sinn — haftigkeit bzw. Bedeutsamkeit (als emotional-motivationale Komponente: das Gefuhl, dass bestimmte Probleme im Leben es wert sind, sich ihnen mit Energie zuzuwenden, dass sie Herausforderungen darstellen, dessen Uberwindung mehr Lust als Last ist). Nach Antonovsky (1993) beeinflusst das soziale Umfeld das Koharenzgefuhl. So beschreibt er beispielsweise die Teilhabe an Entscheidungs — systemen als eine ideale Herausforderung des Einzelnen (wenn keine Unter — und keine Uberforderung stattfindet) als sehr forderlich fur die Erhohung des Koharenz — gefuhls. Damit in Zusammenhang steht die Selbstwirksamkeitserwartung, die unten als ein gesonderter Aspekt der psychologischen Konsequenzen aufgefuhrt wird.

In den folgenden Abschnitten werden sechs Aspekte naher beschrieben, die als psychologische Konsequenz der Implementierung unterschiedlicher Bioenergienut — zungsformen auftreten konnen: das Gefuhl der Unabhangigkeit von grofien Ener — gieversorgungsunternehmen, das Gefuhl der Unabhangigkeit von endlichen Roh — stoffen, das Wir-Gefuhl, die Selbstwirksamkeitsuberzeugung, die Aspekte Stolz,

Spafi, Sinnerleben und ein verandertes Image des eigenen Ortes. Dass diese Aspekte eine Rolle bei dem vorliegenden Thema spielen und miteinander in Beziehung stehen, zeigten Interviewstudien der Erstautorin, die im Bioenergiedorf Juhnde durchgefuhrt wurden (Eigner-Thiel 2005).