Soziale Kriterien zur Bewertung der Nachhaltigkeit unterschiedlicher Biomassepfade

Dr. Swantje Eigner-Thiel, Prof. Dr. Jutta Geldermann,

Meike Schmehl

3.4.1 Hintergrund

Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung soll sicherstellen, dass nicht nur die Bedurfnisse der heutigen, sondern auch diejenigen kunftiger Generationen befriedigt werden konnen (vgl. United Nations 1987). Als Sinnbild, das ver — schiedene Aspekte der Nachhaltigkeit vereint, werden das Nachhaltigkeitsdreieck oder das Drei-Saulen-Modell verwendet, die den Prinzipien Okologie, Okonomie und Soziales Rechnung tragen.

So spielen neben den in diesem Buch zahlreich beschriebenen Aspekten aus Technik, Recht und Wirtschaft insbesondere auch okologische und soziale Aspekte eine wichtige Rolle fur die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Biogasvorhaben und anderen innovativen Konzepten der energetischen Biomassenutzung.

Die energetische Nutzung von Biomasse kann durch die Form des Anbaus (bei — spielsweise konventionell vs. okologisch) und die Art des Substratinputs (beispiels — weise Triticale — oder Roggen-Ganzpflanzensilage, Maissilage, Ackergrassilage, Gulle) Auswirkungen auf okologische Aspekte wie Bodenqualitat, Wasser, Klima oder Artenvielfalt haben. Auch der notige Flachenbedarf kann von diesen Faktoren abhangig variieren.

Die Nutzung von Biomasse hat okonomische Auswirkungen zum einen fur einzelne Landwirte, die sich als Energiewirte ein weiteres Standbein neben der Futter — und Nahrungsmittelproduktion sichern konnen. Zum anderen konnen Warmekunden profitieren, wenn sie gunstigere Tarife fur die Abwarme der

Biogaserzeugung als aus der zentralen Bereitstellung aus fossilen Energietragern nutzen konnen. Zudem wird die Unabhangigkeit von Importen aus politisch potenziell instabilen Regionen positiv gesehen. Daruber hinaus kann die Biogas­erzeugung auch fur die Region aufgrund der Vergabe von Ingenieursleistungen und Bauauftragen, Notar- und Steuerberatereinnahmen von solchen Projekten vorteil — haft sein.

Oft werden bei der Betrachtung von Bioenergieprojekten soziale Aspekte ver — nachlassigt: Menschen mussen sich im Zuge des Baus von Biogasanlagen mit der Asthetik veranderter Landschaftsbilder, bedingt unter anderem durch den Anbau der Energiepflanzen, auseinandersetzen, denn plotzlich entstehen z. B. vermehrt Mais — monokulturen, wenn nicht auf heterogenere Fruchtfolgen gesetzt wird. Sie haben Vor — urteile bezuglich entstehender Geruche oder befurchten Larmbelastigungen durch den Transport und die Produktionsanlagen. Diese Aspekte konnen die Akzeptanz von Bioenergieanlagen erheblich beeinflussen. Auf der anderen Seite kann sich das Einbeziehen der Menschen durch Beteiligung an der Planung dieser Anlagen wiederum positiv auf diese auswirken, wie in diesem Abschnitt beschrieben wird. Dabei wird deutlich, wie komplex mogliche Auswirkungen der Biomassenutzung sein konnen. Vor dem Hintergrund der grofien Anzahl unterschiedlicher Formen der Biomassenutzung, die heutzutage bereits existieren, werden in diesem Abschnitt drei verschiedene Formen der Biogasnutzung im Hinblick auf die sozialen Aspekte betrachtet:

• eine Biogaseinzelanlage,

• das sog. „Bioenergiedorfkonzept“ (vgl. Ruppert et al. 2008) und

• eine Biogasgrofianlage.

Die Untersuchung der sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Bestandteil eines Forschungsverbundprojekts am Interdisziplinaren Zentrum fur Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Georg-August-Universitat Gottingen mit dem Titel „Nachhaltige Nutzung von Energie aus Biomasse im Spannungsfeld von Klimaschutz, Landschaft und Gesellschaft“, das vom Ministerium fur Wissenschaft und Kultur Niedersachsen seit 2009 gefordert wird. Ziel der sechs grofieren Teil — projekte dieses Forschungsverbundes ist es, die gesellschaftlichen und naturlichen Veranderungen, die mit der vermehrten energetischen Nutzung von Biomasse ver — bunden sind, zu untersuchen und modellhaft zu begleiten. Dazu wird unter anderem die Umsetzung eines integrativen Energiepflanzenbaus, in dem Pflanzenertrage unter Beachtung von bodenschonenden Fruchtfolgen, aber auch von Natur und Umwelt optimiert werden, erforscht. Der Anbau soll konsensorientiert erfolgen, indem die Belange der Bevolkerung, der Landwirte wie auch der Naturschutzer in Workshops zu neuen Bioenergieregionen in Niedersachsen zusammengefuhrt werden[219].

Um verschiedene Formen der Biomassenutzung miteinander vergleichen und fur konkrete Dorfer oder Regionen eine Entscheidungsunterstutzung zu bieten, wird eine multikriterielle Analyse, eine Methode des Operations Research (der angewandten Mathematik) fur die Bewertungsmethode vorgeschlagen. Diese Methode der Mehrzielentscheidungsunterstutzung (englisch: Multi Criteria Decision Analysis, MCDA) eignet sich insbesondere fur die Beurteilung von Umweltschutztechniken und Energieversorgungskonzepten (vgl. Geldermann et al. 1999; Geldermann und Rentz 2005; Geldermann 2006; Oberschmidt et al. 2010).

Bei der Einschatzung unterschiedlicher Biomassenutzungspfade in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit spielen zahlreiche, z. T. gegenlaufige, Zielsetzungen und Kriterien eine Rolle. In den meisten praktischen Entscheidungssituationen existiert keine dominierende Alternative, die im Vergleich zu allen ubrigen Alternativen samtliche Zielkriterien nachhaltiger Entwicklung am besten erfullt und daher von allen Entscheidern (wie Burgermeistern, Landwirten, Verwaltungen…) gewahlt wurde. Stattdessen weisen die meisten Alternativen sowohl Starken als auch Schwachen auf, die gegeneinander abzuwagen sind. Bei diesem Prozess der Informationsverdichtung sind jedoch sehr viele Aspekte zu beachten, so dass der „gesunde Menschenverstand“ hiermit schnell uberfordert ist (Miller 1956, Dorner 2003, Vester 2003).

Der konkrete Prozess der Bewertung und der Entscheidungsfindung kann durch den Einsatz von Methoden der Mehrzielentscheidungsunterstutzung transparent begleitet, strukturiert und dokumentiert werden (Buchholz et al. 2009; Oberschmidt et al. 2010). Als Ergebnisse werden Nutz — bzw. Praferenzwerte fur alle Konzepte berechnet, anhand derer die Nachhaltigkeit der Alternativen beurteilt werden kann.

In diesem Abschnitt steht weniger der Ablauf einer kompletten Mehrzielent — scheidungsunterstutzung zur Auswahl geeigneter Bioenergiedorfkonzepte im Vor — dergrund. Vielmehr liegt der Fokus auf der Auswahl geeigneter Kriterien, mit deren Hilfe die Vorteilhaftigkeit bzw. der Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung durch eine energetische Biomassenutzung bewertet werden kann. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei die Darstellung und Begrundung der sozialen Kriterien, die bislang in Theorie und Praxis bei der Bewertung von Biogasanlagen nur wenig fundiert berucksichtigt wurden. Dazu werden im Folgenden die Definitionen der Nachhaltigkeit rekapituliert. Darauf aufbauend wird eine Kriterienliste fur die Beur — teilung unterschiedlicher Biomassenutzungspfade beschrieben, wie sie zum einen anhand der Erfahrungen mit Bioenergiedorfern, zum anderen aus der Literatur erarbeitet wurde. Ausfuhrlich werden die sozialen Kriterien im Hinblick auf eine Bewertung der Nachhaltigkeit von energetischen Biomassenutzungskonzepten erlautert. Abschliefiend verdeutlicht eine exemplarische Fallstudie die Anwendung der sozialen Kriterien beim Vergleich einer Biogaseinzelanlage, eines Bioenergie- dorfs sowie einer BiogasgroBanlage.