Der Biomasseliefervertrag

3.2.1.2 Primarbiomasse, biogene Sekundarenergietrager, Substrate

Biomasse ist generell ein dehnbarer und konturloser Begriff (vgl. Atrock et al. 2006, Rn. 22), der je nach Kontext einen anderen Inhalt annehmen kann. Dement- sprechend ist eine Begriffsklarung notwendig.

In der Naturwissenschaft werden mit Biomasse ganz allgemein alle Stoffe organischer Herkunft (d. h. kohlenstoffhaltige Materie) bezeichnet (vgl. Kalt — schmitt 2009, S. 2). Diese extensive Grunddefinition wird fur den Energiekontext jedoch auf die in der Natur lebende Phyto — und Zoomasse (Pflanzen und Tiere), die daraus resultierenden Ruckstande (z. B. tierische Exkremente wie Gulle oder Mist), abgestorbeneaber noch nicht fossilePhyto — und Zoomasse (z. B. Stroh etc.) und alle sonstigen Stoffe, die aus den zuvor genannten Stoffen beispielsweise mittels technischer Umwandlung und/oder stofflicher Nutzung entstanden bzw. angefallen sind (z. B. Schwarzlauge, Schlachtabfalle, organischer Hausmull, Papier, Zellstoff, Pflanzenol, Alkohol, Biogas, Deponiegas, Klargas, Holzpellets, Hackschnitzel, Schredderholz, Holzkohle etc.), beschrankt (vgl. Kaltschmitt 2009, S. 2), um mit dem Begriff Biomasse einen Abgrenzungsterminus zu den fossilen Primarenergietragern (Erdol, Kohle und Erdgas)[152] zu schaffen.

Der Europaische Gesetzgeber versteht unter Biomasse „den biologisch abbaubaren Teil von Erzeugnissen, Abfallen und Reststoffen der Landwirtschaft mit biologischem Ursprung (einschliefilich pflanzlicher und tierischer Stoffe), der Forstwirtschaft und damit verbundener Wirtschaftszweige einschliefilich der Fischerei und der Aquakultur sowie den biologisch abbaubaren Teil von Abfallen aus Industrie und Haushalten“.

Die Reichweite dieser Definition hangt grundsatzlich davon ab, wie weit man den Kreis der, verbundenen Wirtschaftszweige“ zieht. Wahlt man ein breites Ver — standnis, ist die gemeinschaftsrechtliche Definition wohl deckungsgleich mit der naturwissenschaftlichen (vgl. Ekardt 2010, § 3, Rn. 28 f.).

Der deutsche Gesetzgeber hat die gemeinschaftrechtliche Definition uber — nommen. Das EEG 2009 enthalt zwar keine explizite Legaldefinition (vgl. § 3 und § 27 EEG 2009) und die Definition aus § 2 Abs. 1 der Biomasseverordnung (BiomasseV)[153] kann auf Grund ihres Standortes innerhalb einer Verordnung nicht als allgemeine Begriffsbestimmung herangezogen werden. Aber aus der Gesetzes — begrundung zum EEG 2009 ergibt sich, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem EEG 2009 unter anderem die Umsetzung der Richtlinie 2001/77/EG beabsichtigt hat, welche der Ursprung der europarechtlichen Begriffsbestimmung ist.[154]

Legt man diese weite Definition nun dem Begriff, fiiomasseliefervertrag“ zu Grunde, ist das Spektrum des Begriffs identisch mit der Reichweite der Definition. Ein Biomasseliefervertrag kann somit sowohl die Lieferung von lebender und/ oder abgestorbener Phyto — und Zoomasse sowie die daraus resultierenden Ruck — stande als auch die Lieferung von Stoffen zum Gegenstand haben, die aus den zuvor genannten Stoffen hergestellt wurden. Auf den Biogaskontext bezogen bedeutet dies, dass sowohl ein Vertrag uber die Lieferung von Substraten zur Biogas — erzeugung als auch ein Vertrag uber die Lieferung von Biogas Biomasselieferver- trage im weitesten Sinne sind.

Im Hinblick auf die Darstellung der Charakteristika des Biomasseliefervertrags im Biogaskontext ist ein derartig weiter Terminus von Natur aus ungunstig, da es ohne eine systematische Untergliederung in der Regel zu inhaltlichen Missver — standnissen und Ungenauigkeiten kommt. Im Folgenden werden daher in gebotener Kurze die Vertrage gruppiert, die sich unter dem Begriff Biomasseliefervertrag ver- sammeln.

Biomasse kann auf Grundlage der obigen Definition in Primarbiomasse und biogene Sekundarenergietrager unterteilt werden. Der Begriff Primarbiomasse umfasst alle organischen Stoffe, die ohne wesentliche Be — oder Verarbeitung, d. h. dem Grunde nach in ihrer naturlich vorgefundenen Form, direkt in End — oder Nutz — energie umgewandelt oder als Grundstoffe fur die Erzeugung biogener Sekundar­energietrager in mechanischen, thermochemischen, physikalisch-chemischen oder biochemischen Umwandlungsprozesse eingesetzt werden konnen. Primarbiomasse beinhaltet damit die in der Natur lebende Phyto — und Zoomasse (Pflanzen und Tiere), die daraus resultierenden Ruckstande (Gulle, Mist etc.), abgestorbene aber noch nicht fossile Phyto — und Zoomasse (Stroh, abgestorbenes Holz, Tierkadaver etc.) sowie Abfalle (organischer Haus — und Industriemull: Industrieholz, Schlachthof- abfalle, Klarschlamm etc.). Biogene Sekundarenergietrager sind all die Stoffe, die am Ende eines mechanischen, thermochemischen, physikalisch-chemischen oder biochemischen Umwandlungsprozesse stehen, in dem als Grundstoff ausschliefilich Primarbiomasse eingesetzt wurde. Damit umfasst der Begriff biogener Sekundar­energietrager alle festen, flussigen und gasformigen Brennstoffe, die auf Grund­lage von Primarbiomasse erzeugt wurden (z. B. Ethanol, Pflanzenole, Palmolme — thylester, Pyrolyseol, Biogas, Deponiegas, Klargas, Holzpellets, Hackschnitzel, Schredderholz, Holzkohle, Maissilage etc.) (vgl. Kaltschmitt 2009, S. 4).

Entsprechend dieser Untergliederung konnen Biomasseliefervertrage in Primarbiomasseliefervertrage und Liefervertrage uber biogene Sekundar — energietrager eingeteilt werden.

Auf den Biogaskontext bezogen ergibt sich hieraus nun, dass ein Vertrag uber die Lieferung von Biogas der letzteren Untervertragsart entspricht. Einen Vertrag uber die Lieferung von Substraten zur Biogaserzeugung stellt allerdings eine Mischform der beiden Untervertragstypen dar, da die zur Vergarung eingesetzten Stoffe teils der Primarbiomasse (z. B. Rindergulle, Rindermist, Huhnermist etc.) und teils den biogenen Sekundarenergietragern (z. B. Biertreber, Maissilage, Melasse, Press — schnitzel etc.) zuzuordnen sind. Der Klarheit wegen wird daher im Folgenden fur diese Vertragsart ausschliefilich der Begriff Substratliefervertrag verwendet.

Ein Liefervertrag uber Biogas ist insoweit keine rechtliche Neuerung, da Gas — liefervertrage seit der ersten energetischen Nutzung dieses Stoffes durch den Menschen geschlossen werden und daher ausreichend rechtlich kommentiert sind. Substratliefervertrage hingegen sind ein Produkt der jungeren Vergangenheit und derzeit rechtlich noch wenig ausgeleuchtet. Aus diesem Grund begrenzt sich die Darstellung innerhalb der folgenden Abschnitte ausschliefilich auf die Eigenheiten des Substratliefervertrags.

3.2.1.3 Typisierung des Vertrages

Der Substratliefervertrag ist ebenso wie die ubergeordneten Vertragstypen gesetzlich nicht normiert. Dementsprechend steht entweder das Etikett sui generis oder das eines der normierten Vertragstypen zur Verfugung. Betrachtet man die rudimentaren Vertragspflichten eines Substratliefervertrages (Lieferung von Sub­straten in der Regel im Austausch gegen eine andere Leistung — meistens Geld) entspricht das Grundnaturell des Vertrages auf den ersten Blick einem klassischen zivilrechtlichen Kaufvertrag i. S. d. §§ 433 ff. BGB. Inwieweit diese erste Einschat — zung tragfahig ist, hangt freilich davon ab, ob die allgemeinen Charakteristika des Substratliefervertrags generell mit der Dogmatik des Kaufvertrages vereinbar sind oder ob nicht eventuell ein anderer normierter Vertragstypus passender ist.

Der erste Ansatzpunkt in diesem Kontext ist das Gut Substrat selbst sowie die Frage, ob Substrate uberhaupt tauglicher Gegenstand eines Kaufvertrages sein konnen. Gegenstand eines Kaufvertrages sind nach dem Gesetz Sachen (§ 433 BGB) oder Rechte (§ 453 BGB). Sachen i. S. d. § 433 BGB sind uber die Legalde — finition des § 90 BGB hinausgehend alle verkehrsfahigen, auch unkorperlichen Vermogensgegenstande und Sachgesamtheiten (Westermann 2009, § 433, Rn. 10). Der extensive Sachenbegriff wird in diesem Kontext allerdings nicht benotigt, da Substrate auf Grand ihres Aggregatzustandes (fest oder flussig) bereits unter den engeren Sachenbegriff des § 90 BGB fallen (vgl. Holch 2009, § 90, Rn. 7; Ellen — berger 2011, § 90, Rn. 1) und somit zweifelsfrei Gegenstand eines Kaufvertrags sein konnen. Hinsichtlich der anderen dogmatischen Elemente des Kaufvertrags ergeben sich in Bezug auf Substrate keine Besonderheiten, da wie bei jeder anderen beweglichen Sache sowohl die Eigentums — und Besitzverschaffung durch den Ver — kaufer als auch die Entgegennahme durch den Kaufer moglich ist. Auberdem ist es moglich, den Austausch von Substraten in ein Gegenseitigkeitsverhaltnis mit einer Geldleistung des Kaufers an den Verkaufer zu stellen. Folglich sind die Cha­rakteristika des Substratliefervertrags mit der Dogmatik des Kaufvertrags i. S. d. §§ 433 ff. BGB grundsatzlich vereinbar und somit kann der Substratliefervertrag dem Grande nach als Unterfall des Kaufvertrags charakterisiert werden.

In Anbetracht der Tatsache, dass Substrate auch planmabig und zweckgerichtet erzeugt, gesammelt und/oder verfugbar gemacht werden konnen, stellt sich allerdings die Abgrenzungsfrage, ob der Substratliefervertrag nicht eher einem Werklieferungsvertrag i. S. d. § 651 BGB entspricht. Grundsatzlich unterfallt dem Tatbestandsmerkmal „erzeugen“ in § 651 BGB die Urproduktion (vgl. Jacoby und Peters 2008, § 651, Rn. 12) und somit kann der Substratliefervertrag dem Grande nach auch diesen Vertragstypus darstellen. Der Anknupfungspunkt fur die Abgrenzung zwischen Kauf — und Werklieferungsvertrag ist stets die Frage, ob sich die Verpflichtung des Lieferanten lediglich auf die Eigentums — und Besitzver­schaffung erstreckt oder ob daneben auch die Herstellung der Sache geschuldet ist (vgl. Westermann 2009, § 433, Rn. 21; Jacoby und Peters 2008, § 651, Rn. 14). Hier wird es auch wiederum auf den Einzelfall ankommen. Eine abstrakt-generelle Klarung dieses Umstandes ist im Substratkontext wohl nicht moglich, da den Ver — tragsparteien keinerlei rechtliche oder faktische Schranken gesetzt sind, einen Sub­stratliefervertrag als reinen Kaufvertrag oder als Werklieferungsvertrag auszuge — stalten. Die Abgrenzung ist insoweit auch rein akademischer Natur, da es sich bei Substraten um vertretbare Sachen i. S. d. § 91 BGB handelt und somit gemab § 651 Satze 1 und 3 BGB Kaufrecht ohne Modifikationen Anwendung findet.

Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass der Substratliefervertrag sowohl als Kaufvertrag oder als Werklieferungsvertrag typisiert werden kann. In der Regel wird man den Substratliefervertrag aber wohl als Kaufvertrag bzw. Sukzessivliefer — vertrag (eine Unterart des Kaufvertrags, vgl. Westermann 2009, § 433, Rn. 38)

i. S. d. §§ 433 ff. BGB klassifizieren mussen, da der Abnehmer gewohnlich keinen Wert auf die Erzeugung der Substrate durch seinen Vertragspartner legt, sondern lediglich Interesse an den Substraten haben wird (vgl. Westermann 2009, § 433, Rn. 21; Jacoby und Peters 2008, § 651, Rn. 14).